Donnerstag, Dezember 30, 2004

Erwachen...

Uff - Findus am Teichrand Ich wachte auf und wusste, dass Findus da war.
Ich konnte es kaum glauben, aber ich wusste, dass es so war.
Ich überlegte, ob ich einfach davonschwimmen könnte, aber meine Flossen weigerten sich.
Sinnlos, in diesem Teich, der gerade mal dreissig auf dreissig Längen misst.
Und woher sollte ich, ich Carassius Aauratus wissen, in welche Richtung ich schwimmen sollte.
Näher an das andere Ufer? Aber was gewänne ich denn damit.
Nach Katzenart würde er sich anschleichen, lautlos. Ehe ich wüsste wie mir geschah, hätte er mich schon am Schwanz oder im Nacken gepackt und mit seinen Reisszähnen oder messerscharfen Krallen durchlöchert. Ja, genau wie er meinen Bruder George vor mehr als zwanzig Sonnenaufgängen aus dem Leben riss. Das Blut des Lebens würde aus mir herausströmen, ohne dass ich auch nur einen letzten Seufzer tun konnte. Oder er würde mich mit einem Schlag seiner mächtigen Pfoten töten, der mir das Genick brach.
"Ich muss sterben", schluchtze ich mit bebenden Flossen.
Immer in der Mitte des Teichs und in der dunklen Tiefe zu verharren habe ich einfach keine Lust mehr. Ich will auch die wärmende Sonne spüren, näher am Ufer verweilen. Sonnenbaden da, wo sich mir die Nahrung reichlicher und abwechslungsreicher anbietet. Nähmlich in der Nähe des Ufers.
Auch will ich die glitzernden Sterne in der Nacht sehen, den Mond vorüberziehen am Firnament. Aber dazu muss ich meinen Kopf und die Augen aus dem Wasser halten können, und überhaupt, machmal habe ich einfach Lust aus dem Wasser zu springen und nach der frischen reinen Luft zu schnapppen.
Uff, aber da steht Findus. Keine fünf Längen vor mir, direkt am Ufer, das Blut gefriert mir in den Adern. Brrr, dabei ist die Sonnne schon am aufgehen, heute könnte es einen schönen, sonnigen warmen Tag werden.
Hmmm, er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, er konzentriert sich ganz darauf, mich mit seinen Pfoten und Zähnen zu zu fangen.
Eindrucksvoll, sein völliges Aufgehen im Augenblick.
Ja, Findus, eine Mischung aus Leichtigkeit und Konzentration, sein In-der-Gegenwart-Sein, um das ihn selbst die weisesten Yogis beneiden.
Und ich, ich armseliger Fisch, wie könnte ich mein Leben retten?
Es ist schlimm genug, wenn man den Tod kommen sieht, doch noch schlimmer ist der Tod mit Wartezeit, in der man sich noch einmal vor Augen führt, wie glücklich man gewesen ist und wie glücklich man noch hätte sein können. Und George fehlt mir auch. Eine so tiefe Traurigkeit stellt sich ein, dass kein Findus der auf einen zuschleicht und kein Wasser das sich über einem schliesst, dagegen ankam.
Nicht auszuhalten ist diese Gefühl. Die Worte Vater, Mutter, George trafen mich mit aller Wucht.
Ich gab auf.
Ich hätte aufgegeben - hätte sich in meinem Herzen nicht eine Stimme bemerkbar gemacht. Die Stimme sagte:"Ich sterbe nicht. Das lasse ich nicht zu. Ich werde diesen Apltraum überleben. So schlecht meine Karten auch sind. Bisher habe ich überlebt, das ist ein Wunder. Jetzt werde ich dafür sorgen, dass es auch bei dem Wunder bleibt. Von jetzt an wird jeder Tag ein unglaublicher Tag sein, dafür sorge ich, koste es, was es wolle. Jawohl, solange Fischgott-Meerjungfrau bei mit ist, sterbe ich nicht.
Amen. Blubb, blubb blub."
Mein Körper nahm einen grimmigen, zu allem entschlossenen Ausdruck an.
Ich sage es in aller Bescheidenheit, aber dies war der Augenblick, in dem ich begriff, welch ungeheurer Lebenswille in mir steckt. Nach meiner Erfahrung ist das einem Fisch selten wirklich bewusst. Macher von uns gibt mit einem einzigen resignierenden Seufzer das Leben auf. Andere kämpfen ein wenig, dann verlieren sie den Mut, wie George. Wieder andere - und zu denen gehöre ich - geben niemals auf. Wir kämpfen und kämpfen und kämpfen, ganz gleich welche Opfer die Schlacht auch verlangt und wie gering die Aussicht auf Sieg sein mag.
Wir kämpfen bis zum letzten. Es ist keine Frage des Muts. Es ist etwas an unserem Charakter, das uns das Aufgeben einfach unmöglich macht.
Vielleicht ist es nicht mehr als Lebenshunger mit einer grossen Portion Dummheit.
In diesem Augenlick knurrte Findus zum ersten mal - als habe er gewartet, bis ich mich zum würdigen Gegner aufgeschwungen hatte.
Es schnürte mir den Gaumen zu.
"Jetzt aber los, Fisch, schnell", hauchte ich.
Keine Sekunde war zu verlieren. Mein Verstand lief auf Hochtouren.
Ich brauche, ich brauche einen Plan, und zwar sofort.
Wahrscheinlich musste er nur sein Pfoten ausstrecken und mich mit der Kralle angeln. Ich muss etwas für mein Überleben tun. Ich brauche Deckung, und zwar sofort.
Findus knurre wieder. Aber es war ein verhaltenes Knurren, privat und ein wenig halbherzig könnte man sagen. Er leckte sich die Lippen. Er schüttelte den Kopf.
Ich verharrte regungslos an meiner Stelle. Mir wurde schwarz vor Augen, so sehr fürchtete ich mich. Ich bekam kaum noch Wasser durch die Kiemen.
Er reckte den Kopf in die Höhe und schnupperte die Luft. Er stiess ein leises drohendes Fauchen aus. Er schnüffelte nocheinmal. Langsam drehte er den Kopf. Er drehte - drehte - drehte in immer weiter, bis er mir ins Gesicht blickte.
Mein Herz setzte aus, dann schlug es in dreifachem Tempo.
"Fischgott, Vater, Mutter und George!" Liebe Güte, wie gross er ist!
Er sitzt da, als hätte er sich in Szene gesetzt, um ein spektakuläres Kunstwerk zu schaffen. Und wie spektakulär es war, was für eine Kunst! Seine Präsenz war überwältigend, und nicht minder eindrucksvoll seine geschmeidige Eleganz. Seine Muskeln waren von unglaublicher Kraft, doch trotzdem war er schmal in den Hüften, sein schimmerndes Fell wirkte schlank. Sein Körper, leutendes schwarz, war Perfektion, die makellose schwarze Brust und der Bauch, der schwarze lange Schwanz wie die Accesoires eines Massschneiders. Sein Kopf mit dem eindrucksvollen Backenbart, einem schicken Spitzbart und Schnurrhaaren, kräftig und lang. Oben sassen bewegliche Ohren, die Rundungen perfeke Bögen. Doch als der Blick aus Findus bernsteinfarbenen Augen den meinen traf, da war er intensiv und kalt und unerbitterlich, er hatte nichts Nachgiebiges, nichts Freundliches, nur eine Selbstbeherrschung stand darin, die jeden Moment zur Wut expoldieren konnte. Seine Ohren zuckten. Er hob einen Mundwinkel, dann liess er ihn wieder sinken. Der weisse Reisszahn den er präsentierte, war so lang wie meine längste Flosse.
Jede Schuppe hatte sich an mir aufgerichtet und brüllte vor Furcht. Nun war sein Blick fest auf meinen Kopf gerichtet. Es war ein solcher Schock, dass mir die Flossen einknickten. Die Ohren hatte er flach an den Kopf gelegt. Keine fünf Längen trennte ihn nun von mir. Die Strömung hatte mich in meiner Angst und Ohmacht sogar noch näher an ihn getrieben.
Kopf, Brust, Pfoten - wie entsetzlich gross!
Seine Zähne - die Kraft einer ganzen Batallion zwischen den Kiefern.
Mein letzter Augenblick war gekommen.
Ich war so gut wie tot.

Und da passierte etwas Unglaubliches...
Ich glaube, das hat mir an diesem sonnigen Morgen das Leben gerettet.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Jedenfalls lebe ich noch, ansonsten hätte ich ja euch dies Geschichte niemals erzählen können.

Toby on Ice

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